Wie digital sind unsere Jugend- und Sozialämter?
Als Anlass für Überlastungsanzeigen – vor allem in den kommunalen sozialen Diensten – wird vielfach „Arbeitsüberlastung“ genannt.
Aber woher kommt diese überhaupt?
Zweifelsohne ist die Fallbelastung in Allgemeinen Sozialen Diensten in Jugendämtern bzw. der Sachbearbeitung in Sozialämtern gestiegen. Auch die rechtliche Lage ist komplexer geworden. Siehe dazu auch hier: Link zum Artikel.
Zugleich jedoch hat die Digitalisierung entlastende Effekte gebracht – so möchte man meinen. Die Realität sieht jedoch in vielen Jugend- und Sozialämtern anders aus.
Technische Möglichkeiten sind in vielen Fällen durchaus vorhanden: z.B. die Möglichkeit, Hilfepläne, Bescheide, Kostensätze und Einladungsschreiben im System zu hinterlegen. Die Voraussetzungen für mobiles Arbeiten bei Hausbesuchen oder Gerichtsterminen könnten zumindest mittelfristig geschaffen werden.
Jedoch werden die bestehenden Möglichkeiten i.d.R. nicht ausreichend genutzt: Die Unterlagen im System sind nicht aktuell oder nur sporadisch hochgeladen. Die Mitarbeitenden „basteln“ sich ihre eigenen Versionen auf dem Desktop und laden im System lediglich die Pflichtdokumente zur „Archivierung“ hoch.
Somit ist die elektronische Fallbearbeitung in Jugend- und Sozialämtern vielfach zwar technisch möglich, aber in der Praxis nicht implementiert.
Kann Digitalisierung Überlastungsanzeigen abwenden?
Verhindern kann sie sie sicherlich nicht – denn Überlastungsanzeigen können viele Ursachen haben. Aber dass Digitalisierung erhebliche Entlastungspotenziale in sich birgt, macht ff. Rechenbeispiel „Falleingang in einem brandenburgischen Jugendamt“ (Auszüge) deutlich.
Hier wurden am Beispiel des Falleingangs von Erziehungshilfen ermittelt, an welcher Stelle Entlastungsmöglichkeiten durch digitale Bearbeitungsweise hergestellt werden können.
Dazu wurde der Administrationszeitbedarf für sämtliche Arbeitsschritte bei händischer (papierner) Arbeitsweise erhoben und mit einer digitalen Bearbeitung vergleichen. Admin-Zeitbedarf bedeutet hier übrigens: Der Zeitaufwand für das Abspeichern, Ausdrucken, Kopieren, Heraussuchen oder Abheften von Unterlagen. Nicht gemeint ist damit die fachliche Sichtung oder das Ausformulieren eines Bescheides. Diese Arbeitsschritte werden von der Digitalisierung nicht tangiert.
Arbeitsschritt (Beispiele) | Beschreibung einer papiernen Bearbeitung | Admin-Bedarf* je Vorgang in min | Beschreibung einer elektronischen Bearbeitung | Admin-Bedarf* je Vorgang in min |
Meldungseingang (§8a Kontext) | Meldebogen ausfüllen (Word), ausdrucken, Kopie anfertigen für Sachgebietsleitung (SGL); Sofortreaktion (Word) ausdrucken, per Hand ausfüllen, in Akte ablegen |
4,00 | Meldung digital ausfüllen und digital ablegen; bestenfalls automatische, elektronische Benachrichtung der SGL | 0,05 |
Sachliche Zuständigkeitsprüfung | Formular (Word) ausdrucken, per Hand ausfüllen, unterschreiben, in Akte ablegen | 3,00 | Formular digital ausfüllen, ablegen und für Wirtschaftliche Jugendhilfe (WJH) freischalten | 0,05 |
Abgleich Falleingangsdaten mit Einwohnermeldeamt | Mit Sekretariat oder einem Sozialarbeiter (SA) mit Zugang zum Einwohnermeldeamt (EMA) mündlich abstimmen; Sekretariat oder SA sendet Email mit Informationen; Email ausdrucken, in der Akte ablegen | 20,00 | Verknüpfung der Daten im Fachverfahren mit Daten des Einwohnermeldeamtes; Stammdaten direkt mit den im EMA gespeicherten Daten abgleichen und Prüfausgang digital ablegen | 1,00 |
Bei HzE: Örtliche Zuständigkeitsprüfung (mit WJH) | Formular in Word ausfüllen, ausdrucken, unterschreiben und wieder einscannen; dann per Email an WJH (oder direkt PDF an WJH) senden; Email ausdrucken, in Akte ablegen; Rückmeldung aus der WJH per Email erhalten; Email ausdrucken und in Akte ablegen |
8,00 | Verzicht auf separate Zuständigkeitsprüfung durch WJH bei einfachen Fällen; in schwierigen Fällen: Formular digital ausfüllen, ablegen und für WJH freischalten; Rückantwort der WJH per Systemmeldung (Freischaltung durch WJH) |
0,05 |
Aktenanlage | Aktenvorblatt ausdrucken, händisch ausfüllen, bei Hausbesuch ggf. abändern, in der Akte ablegen; Bei Veränderungen: Hilfen/ Seitenzahlen auf Aktenvorblatt händisch nachtragen |
15,00 | Schritt entfällt; Aktenvorblatt generiert sich automatisch aus den Stammdaten; Bei Veränderungen: automatische Übernahme neuer Daten/ Hilfen; Unterlagen sind verlinkt (keine Seitenzahlen) |
– |
Hausbesuch | Vor Hausbesuch: Formulare ausdrucken; Während des Hausbesuches: Formulare händisch ausfüllen; Formulare verstauen/ transportieren; Nach Hausbesuch: Ergebnisse handschriftlich dokumentieren und in Akte ablegen |
20,00 | Formulare digital ausfüllen, Hausbesuche digital dokumentieren (während oder nach Hausbesuch z.B.am mobilen Endgerät) und digital ablegen | 7,00
(inkl. Hoch- und Herunterfahren eines mobilen Endgerätes; |
Beratungssitzungen | Teamvorlagen ausdrucken, Teamprotokolle händisch dokumentieren und unterschreiben lassen, in Akte ablegen | 20,00 | Teamvorlagen digital ausfüllen, für alle sichtbar im Teammeeting besprechen (z.B. sichtbar per Beamer oder über eigene Laptops), Unterschiften digital leisten, digital ablegen | 7,50
(inkl. Hoch- und Herunterfahren eines mobilen Endgerätes; |
Kontakt mit Klient | Einladung per individuell angefertigtem Einladungsschreiben (kein Vordruck in ProSoz) anfertigen (dabei auch: Addresszeilen/ Anreden händisch eintragen, keine Verknüpfung mit Stammdaten), Einladungsschreiben zweifach ausdrucken, kuvertieren, in den Versand geben und Kopie in Akte ablegen | 15,00 | Einladungsschreiben digital generieren (Verknpüfung mit Stammdaten), ausdrucken; bestenfalls durch internen Postversand kuvertieren und versenden | 1,00 (Es entfällt v.a. das Suchen/ Kopieren und Korrigieren von Adressen/ Anreden sowie das Ausdrucken von Unterlagen) |
Der Prozess wurde für die laufende Fallbearbeitung und die Fallbeendigung wiederholt. Auch hier konnten erhebliche Entlastungspotenziale festgestellt werden.
Nicht zu vergessen dabei ist: Die oben genannten Zeitersparnisse mögen sich im „Minutenbereich“ befinden. Jedoch entspricht eine Zeitersparnis von 15min im Quartal (also 4x15min im Jahr) bei 1.500 Fällen bereits einer Vollzeitstelle.
Diese Vollzeitstelle stünde für die Wahrnehmung von Aufgaben zur Verfügung, die ggf. jetzt nicht geschafft werden.
Neuer Personalaufwand entsteht beim Einscannen von Unterlagen. Dieser sollte jedoch nicht durch die vielfach höher eingruppierte Sachbearbeitung, sondern im Rahmen einer Scanstrecke bzw. über ein Sekretariat abgedeckt werden. Gerade bei einer verwaltungseinheitlichen Umstellung auf elektronischen Postverlauf lohnt sich die Einrichtung einer zentralen Scanstrecke z.B. angesiedelt bei der Hauspost.
Fazit
Digitalisierung kann Überlastungsanzeigen nicht aus der Welt schaffen – aber im erheblichen Maß Milderung herbeibringen. Diese resultiert aus drei wesentlichen Quellen:
Entscheidend ist jedoch, dass Digitalisierung konsequent im gesamten Amt implementiert wird.
Sobald Vorlagen im System nicht immer aktuell oder Unterlagen nicht vollständig hochgeladen werden (z.B. weil eine weitere Kopie noch in der Handakte liegt), kann die Papierakte als Leitakte nicht abgelöst werden. In diesem Fall bleibt es dann bei der in vielen Kommunen bekannten und ungeliebten Situation einer doppelten Aktenführung, in der die Papierakte maßgeblich ist, aber zahlreiche Informationen parallel in der IT-gepflegt werden müssen, die dann lediglich für z.B. Statistik genutzt werden.
Haben Sie Fragen? Oder planen Sie selbst, das Thema Digitalisierung in Ihrem Amt voran zu treiben?
Nehmen Sie gern Kontakt mit uns auf.